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Kampagne gegen Bertelsmann?

Nachdem im Jahre 2005 in Hamburg die ersten Treffen gegen Bertelsmann stattfanden, hat sich eine stabile kritische Öffentlichkeit gegen Bertelsmann herausgebildet. Inzwischen findet im Jahr 2009 das 5. überregionale Treffen statt. Ausdruck der bisherigen Kritik waren z.B. die Publikationen "Bertelsmann- ein globales Medienimperium macht Politik" und "Netzwerk der Macht - Bertelsmann", aber auch diverse Gewerkschaftsbeschlüsse gegen eine Zusammenarbeit mit der Stiftung. An Universitäten, Schulen und im Gesundheitswesen gab es mehr oder weniger zahlreiche Gegenaktionen gegen neoliberale Umbaumaßnahmen nach den Vorlagen der Bertelsmänner. Weiter ging es auf dem Frankfurter Treffen 2007 mit einem weit verbreiteten Aufruf, der Stiftung die Gemeinnützigkeit zu entziehen.

Die Schwierigkeiten einer weiteren Kampagne oder von verschiedenen Kampagnen liegen auf der Hand.

Das Hauptinteresse der Bertelsmann-Stiftung, den Staat neoliberal zu transformieren und mit den Interessen der global Player gleichzuschalten, hat viele Schauplätze mit sehr unterschiedlichen Konflikten. Die Konflikte sind meist auf der Oberfläche gar nicht mit Bertelsmann verbunden, obwohl bei den meisten großen Sozialangriffen seit Anfang der 90 er das Wirken der Bertelsmann-Netzwerker festzustellen ist. Universitätsreformen, Studiengebühren, Eigenverantwortliche Schule, Krankenhausmangementsysteme, neues Arbeitsrecht und deutsch-europäische Weltgeltung analytisch zusammenzubringen ist im außerparlamentarischen Raum schwierig und wird auch von der Linkspartei und Gewerkschaften oft nur am Rande und nicht zusammenhängend behandelt. Vielleicht hilft die Erkenntnis weiter, welche Rolle der Konzeption des New Public Management bei allen Umbaumaßnahmen zur 'Eigenverantwortlichkeit' mit unternehmerischer Ausrichtung der Einrichtungen und bei Privatisierungen spielt.

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Die folgende Stichwortsammlung listet die Überlegungen von verschiedenen Gruppen und Personen auf, die sich mit einer Kampagne oder Widerstand gegen Bertelsmann auseinander gesetzt haben.

  1. Die Spezialität der Bertelsmann Stiftung als "gute Fee gegen Verkrustung, Bürokratie und den unfähigen Staat" aufzutreten, ihre Projekte unter wechselnden Namen und mit stets wechselnden Partnern anzudienen und in die durch Kürzung der staatlichen Mittel entstandenen Lücken zu stoßen, das gesamte Reformvokabular zu adaptieren und ihm die emanzipatorischen und systemkritischen Inhalte ihrer politischen Zielsetzung zu entziehen und in die gegenteilige systemstabilisierende Richtung umzubiegen, macht es nicht leicht, der Bertelsmann Stiftung mit einer Gegenstrategie zu begegnen.
  2. Neben der Höhe der eingesetzten Mittel, ist die Bertelsmann Stiftung anders als alle anderen Stiftungen (Volkswagen, Bosch usw.) ausschließlich operativ tätig. Sie vergibt keine Mittel an 'gute Projekte', sondern entwickelt eigene Projekte und Kampagnen und übernimmt fast immer die Projektleitung durch 'eigene' Leute. Sie sammelt die dabei anfallenden Daten und verwaltet sie. Sie bindet erhebliche staatliche Mittel vertraglich auf Jahre, indem sie geringe eigene Mittel nur dann einsetzt, wenn der Partner erhebliche Mittel zur Verfügung stellt. Anders als andere Stiftungen verfügt sie auch über publizistische Mittel (Printmedien, Radio, Fernsehen), Verfahren und Erfahrungen die öffentlichkeit zu erreichen.
  3. Weit vorausschauend greift die Bertelsmann Stiftung reale gesellschaftliche Probleme und Konflikte unter gemeinnützigem Label und als scheinbar neutrale Beobachterin auf. Sie ist Meisterin im Knüpfen von Netzwerken aller Art. So liest sich die Liste ihrer Kooperationspartner/innen wie das gesellschaftliche "who is who". Es fällt auf, dass untereinander die Kirchen nie und die Gewerkschaften normalerweise selten kooperieren. Findig im Aufspüren unterschiedlicher Partner/innen, führt die Bertelsmann Stiftung sie zusammen. Dabei konstituiert sie ein neues Staatsverständnis (new governance). Tatsächlich fallen dabei manch alte Zöpfe. Das macht einen großen Teil ihrer Wirkung auch bei Links-Alternativen aus.
  4. Im Kern fordert die Bertelsmann-Stiftung die Durchsetzung der Mechanismen des 'New Public Management' in allen öffentlichen Einrichtungen, was sowohl die interne Effizienzsteigerung auf Kosten der MitarbeiterInnen als auch 'Autonomisierungen' und 'Privatisierungen' einschließt. Die 'Verwaltungsreformabkommen' zwischen Verdi, Personalräten und staatlichen Stellen sollten öffentlich gemacht, diskutiert und kritisiert werden.
  5. Den scheinmodern daherkommenden Veränderungen ist nur mit einem Bündel von Gegenmaßnahmen zu begegnen. Erfahrungsaustausch und hoher analytischer Aufwand sind daher notwendig. Alte Aktionsformen sind auszuprobieren, ob sie hier taugen, neue zu entwickeln, denn "Auch die Utopie braucht Fahrpläne" (Bloch).
  6. Bertelsmann ist nicht der einzige wichtige Akteur neoliberaler Umgestaltung. Eine politische Kampagne kann deshalb nicht dabei stehen bleiben. Thema der Kritik muss immer auch das zugrundeliegende gesellschaftliche Verhältnis sein! Widerstand gegen die Verschlechterungen der Lebens- und Arbeits-, Studien- und Lernbedingungen im Alltag und die Zunahme direkter Lobby-Einflüsse aus der Wirtschaft in den politischen Entscheidungsprozess. Es geht darum, die Ersetzung eines fragwürdigen politischen Systems durch ein noch schlechteres zu verhindern. Dennoch muss der politische Kampf auch gegen einzelne Akteure der neoliberalen Umgestaltung geführt werden, wenn sich etwas ändern soll. Dass heißt gegen Bertelsmann, die WTO, GATS, die Weltbank und viele andere. Eine Kampagne gegen Bertelsmann sollte deshalb nicht nur das Tun von Konzern und Stiftung im Blick haben, sondern die gesellschaftlichen Strukturen und Reformen zum Thema machen, die von Bertelsmann vorangetrieben werden. Das heißt zum Beispiel Hochschulreformen, Sozialabbau und Militarisierung sind Kernthemen.
  7. Eine Kampagne beinhaltet viele Formen der Gegenwehr. Ein breites Ausstrahlen in die Gesellschaft muss das Ziel sein, um die Bertelsmann Stiftung dauerhaft zu schwächen oder auszuschalten:
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    • Aufklärung über die Bertelsmann Stiftung: Veranstaltungen in öffentlichen Räumen, Arbeitsgruppen zum Thema, Bertelsmann Institutionen (Buchclubs, Arvato, CAP, "Unter den Linden 1", etc.) aufsuchen, Demos und Aktionen organisieren, Boykottaufrufe gegen Stiftung und Konzern (Kündige dein Zeitschriften-Abo), Internetforen nutzen, Publikationen in Zeitungen und Büchern, Recherche, die (kritischen) Medien für das Thema sensibilisieren, auch um zu verhindern, dass sie von Bertelsmann instrumentalisiert werden etc.
    • Verbindung zu anderen Gruppen gegen Privatisierung, Neoliberalisierung, Militarisierung, Globalisierung etc. aufnehmen.
    • Die örtlichen Gewerkschaften (GEW, VER.DI, DGB, ...), politische Gruppen vor Ort (linke Projekte, attac, Sozialforen, Bürgerinitiativen, ...), Kirchen, etc. einbeziehen.
    • Anfragen durch kommunale Parlamentarier/innen forcieren: Steckt die Bertelsmann Stiftung dahinter oder ist sie beteiligt? Ist SEIS integriert? Ist ARVATO beteiligt? Wer hat die Projektleitung (die Bertelsmann Stiftung behält sie sich meist selbst vor)? Welche HochschullehrerInnen oder andere Personen machen die wissenschaftliche Begleitung?
    • Bei Verträgen (oder neudeutsch "Contracten") ist zu fragen, wer bindet wen rechtlich wozu? Wenn die Landesregierung, die Kommune, die Schulleitung den Contract mit der Bertelsmann Stiftung oder dem Konzern abschließt, wie sind Bürger/innen, Beschäftigte, Lehrer/innen, Schüler/innen, Eltern daran gebunden? Sind vor der Beschlussfassung Alternativen, andere Angebote eingeholt worden?
    • Wie ist es mit der Mitbestimmung der Betriebs-/Personalräte/ Schulkonferenzen? Werden arbeitszeitliche, gehaltsrelevante und nebentätigkeitsrechtliche Fragen zur Mitbestimmung vorgelegt? Gegebenenfalls Sachverständige hinzuziehen.
    • Bei Entscheidungen über Reformprojekte sollten mündliche Aussagen der Vorgesetzten/des Bürgermeisters nicht genügen, auch kein zwei-Seiten-Beschlussantrag. Einsicht/Vorlage des ganzen Vertrages verlangen! Ausstiegs- + Kündigungsklauseln genau ansehen.
    • Wenn die Kommune mit ARVATO einen Vertrag schließen will (siehe Würzburg), über den Stadt-/Gemeinderat Einsicht in den ganzen Vertrag verlangen. Dazu Bürgerbefragung/-entscheid herbeiführen.
    • Wenn aufgefordert wird, Kennziffern mit zu entwickeln: Verweigern, da es nicht möglich ist, soziale und demokratische Prozesse in ökonomische Kennziffern zu gießen. Da braucht es keine Arbeitsgruppe.
    • Vorher klären, wer Herr/Frau über die Daten ist und bleibt. Gegebenenfalls. die Verwertung durch die Bertelsmann Stiftung versagen oder sperren lassen, gerade auch, wenn sie für Rankings benutzt werden sollen oder benutzbar sind.
    • Ablehnende Stellungnahmen an die Betroffenen Bürger/innen und die öffentlichkeit bringen.
    • Weiter daran arbeiten, der Stiftung die steuersparende Gemeinnützigkeit abzuerkennen.
    • Gefordert werden müsste, auch in der BRD wie in den USA den Kapitalbesitz einer Stiftung am Unternehmen des Stifters auf 20 % zu begrenzen.

(Stand: Januar 2009)

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